<< Ich habe gerade die letzten Blogeinträge angeschaut und bin dabei richtig nostalgisch geworden. Damals wussten wir noch nicht, wie brutal schnell alles vorbei sein sollte. Nein, damals waren wir noch naiv und dachten wir hätten "Zeit". Wie ein Freund von mir mal gesagt hat: "Zeit ist relativ" und da hat er auch wirklich Recht. Zeit ist relativ und wenn du sie gut nutzt und das machst, was du willst, so viel unternimmst wie du kannst und jeden Moment ausnutzt... ja, dann ist Zeit relativ. Relativ egal. Wir hatten sieben Monate und ich bin dankbar für die Zeit, für die Momente, die ich erleben durfte und die Erfahrungen, die ich gemacht habe.
Ich schreibe das hier alles von meinem Computer in Deutschland und wenn ich gerade so zurückdenke, könnte ich gleich wieder anfangen zu weinen, weinen weil alles vorbei ist und ich eben keine Zeit mehr habe. Es fühlt sich so unwirklich an, dass ich letzte Woche noch in Santa Cruz war und jetzt hier bin, alles ist anders und doch ist es immer noch genau dasselbe. Ich kann es eigentlich auch gleich schreiben: Unser Jahr in Boliven wurde abgebrochen. Es ist vorbei. Vorbei und wir können nicht mehr zurück, jedenfalls dieses Jahr wahrscheinlich nicht. Corona, ihr habt es schon geahnt, oder nicht? Ja, Corona ist an dem allen schuld, jedoch nicht die Biermarke, sondern die Krankheit, der VIRUS. Jetzt aber nochmal ganz von vorne, damit ihr auch wisst, wie wir unsere letzen Tage in Bolivien verbracht haben.
Für mich sollte der Monat März ein besonderer Monat werden, dem ich schon entgegen fieberte, da ich Besuch von meinen Eltern bekommen sollte. Es fehlten nur noch wenige Tage, ich wachte am Donnerstag auf und mein erster Gedanke war: "Nur noch Freitag und Samstag und am Sonntag früh sind sie da." Von diesem Gedanke beschwingt lief ich zur Guardería und auch wenn ich noch ganz in meinem Kopf war, bemerkte ich doch, dass auffällig wenig los war. Das war mir in dem Moment allerdings ziemlich egal... Als ich angekommen war, fragte mich meine Tía auch gleich aufgeregt wann meine Eltern denn kommen würden, weil sie am Samstag um Mitternacht den Flughafen schließen würden. Ganz ehrlich, in dem Moment habe ich die bolivianische Regierung schon verflucht, genauso wie den Virus, aber zu dem Zeitpunkt sind die Menschen in Italien auch noch nicht wie die Fliegen weggestorben...
Irgendwie überlebte ich den Vormittag trotz dieser Schreckensnachricht dann doch sehr gut, was vielleicht auch daran lag, dass meine Gruppe immer am Donnerstag in den Park geht. Hätte ich damals gewusst, dass das mein letzes Mal in der Guardería sein würde hätte ich es noch viel mehr genoßen, die Eindrücke aufgenommen und mich von all den süßen und nervigen kleinen Quälgeistern verabschiedet (nein im Ernst, ich habe sie wirklich alle ins Herz geschlossen <3 ). Auf dem Rückweg in die Pfarrei fiel mir jedoch alles wieder ein und das zog mich ziemlich runter, trotzdem redete ich mir ein, dass sie vielleicht doch kommen können, ich meine die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Aber diese Hoffnung sollte mir nicht gegönnt sein, denn schon beim Mittagessen verkündete Padre Christian, dass ich ja jetzt auf jeden Fall wohl keinen Besuch bekommen würde. So viel also zu meiner Hoffnung... Ihr müsst verstehen, dass ich mich in diese Sache wirklich reingesteigert habe, seit Wochen habe ich mich darauf gefreut meinen Eltern alles zu zeigen, mal wieder mit ihnen zu reden und sie einfach zu sehen. Die nächsten Tage verbrachte ich also damit die Nachricht zu verarbeiten, dafür hatte ich schließlich auch jede Menge Zeit, da als Vorsichtsmaßnahme die Schulen, Kitas und Universitäten geschlossen wurden, Anweisung der bolivianischen Regierung. Julia und ich liefen trotzdem nochmal zum Colegio, einfach um sicher zu gehen, aber wie auch beim paro cívico, also beim Streik im Oktober, war alles geschlossen.
Unser letzer normaler Tag war dann der Sonntag, an dem wir einen Ausflug in das Dorf San Luis machten und nachmittags noch ins Schwimmbad gingen, es war wirklich wunderschön und ich bin froh, dass wir an unserem "letzten richtigen Tag" so etwas unternehmen konnten. Am Montag wurde jedenfalls die Quarantäne ausgerufen, doch es sollte noch etwas weit aus schlimmeres auf uns zu kommen... es begann damit, dass in der WhatsApp Gruppe mit den anderen Freiwilligen von Würzburg und Bamberg die Nachricht kam: "Es gibt schlechte Neuigkeiten" - und dann - "Für uns alle" - "Wir müssen heimfliegen". Kurz darauf bekamen wir auch eine Nachricht von Steffi, unserer Organisatorin, dass wir sie doch bitte schnell anrufen sollen. Julia und ich hatten beide schon dieses schlechte Gefühl... ein spontanes Telefonat bedeutet meistens nämlich nichts gutes, im Gegenteil. Und unser Bauchgefühl hatte recht gehabt: "Euer Jahr ist abgebrochen. Ihr könnt auch nicht mehr zurückkehren, euer Freiwilligendienst ist vorbei." Das lasse ich jetzt mal so stehen, aber ihr könnt euch denken, dass wir in den nächsten Tagen ziemlich viel geweint haben. Da die Grenzen jedoch zu dem Zeitpunkt ja schon geschlossen waren, gestaltete sich die Rückholaktion vor allem für die bolivianischen Freiwilligen als ziemlich kompliziert. Wir bekamen einen Flug für Samstag, der aber wieder abgesagt wurde und damit wurde die Situation vor allem psychisch echt feo, also echt scheiße auf deutsch, weil wir nicht wussten wann der Anruf kommt - und mit ihm das Datum unserer Abreise. Verabschieden konnten wir uns von den Leuten im Projekt auch nicht... von einigen wenigen ja, von den meisten aber nicht. Letztendlich bekamen wir doch noch einen Flug und somit hieß es also "Ciao Bolivia y hola Alemania".
Nachdem Julia und ich unser Gepäck abgegeben hatten und auch die Ausreisesteuer bezahlt war, konnten wir durch die Sicherheitskontrollen, wo auch unsere Körpertemperatur gemessen wurde und durften danach auch gleich ins Flugzeug. Das Flugzeug war ein Riesenviech, eine Boeing oder irgendsoetwas, auf jeden Fall war es ein Doppeldecker und wir saßen sogar oben. Kurz darauf hoben wir ab in Richtung Deutschland, um halb acht abends nach Ortszeit. Am nächsten Tag kamen wir dann mittags nach deutscher Zeit in Frankfurt an. Und jetzt bin ich also zurück. Zurück in Gänheim. Vielleicht habt ihr mich ja schon gesehen :). El fin.
Ich werde noch weitere Blogbeiträge verfassen, zum Beispiel über die Situation im Flughafen bei unserer Abreise, dieser Blog endet hier also nicht.
Übrigens:
Die Sicherheitsmaßnahmen in Bolivien sind zurzeit sehr streng, man darf nur noch zum Einkaufen raus und auch da ist es dir nur erlaubt an einem bestimmten Tag auf den Markt zu gehen, je nach dem auf welche Zahl dein Personalausweis endet. Ausgangssperre bis Mitte April. Wie lange sich das hinziehen wird, weiß aber keiner. Und wie es enden wird ebenso wenig.>>
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